Diakon m.K.

- von Axel Büttner

Tatsächlich ist auch heute noch für viele im kirchlichen Dienst Tätigen das Anhängsel „m.K.“ mehr ein Buch mit sieben Siegeln als ein bekannter Begriff. Zu Beginn meiner Tätigkeit in Scholven mutmaßte man, es könne eventuell „mehr Knete“ oder „mit Kindern“ heißen.

 

Tatsächlich verbirgt sich dahinter der Dienstbereich „mit Koordinierungsaufgaben“. In der Beauftragung des Bistums heißt es dazu: „Ihre konkreten Aufgabenfelder ergeben sich aus Ihrer Stellenbeschreibung“ und „Zur Voraussetzung der Übernahme dieser Aufgabe gehört die Teilname an der entsprechenden Qualifizierungsmaßnahme“.

 

Die im Kirchlichen Amtsblatt veröffentlichte Ordnung für den Einsatz der Geistlichen und pastoralen Mitarbeiter/innen in der Seelsorge der Pfarreien und Gemeinden führt auf:

„Unter der Autorität des Pfarrers trägt der mit dem Dienst der Koordination der Seelsorge beauftragte Diakon oder der/die Gemeindereferent/ in gemeinsam mit den Priestern für das gottesdienstliche Leben und die Feier der Sakramente Verantwortung. Das Zusammenwirken gestaltet sich nach den liturgischen und rechtlichen Vorschriften des allgemeinen Rechts und nach der Rahmenordnung für die „Zusammenarbeit von Priestern, Diakonen und Laien“ im Bereich der Liturgie.“ ... “Damit der mit der Koordination der Seelsorge beauftragte Diakon oder der/die Gemeindereferent/in die alltäglichen Aufgaben erfüllen, den Zusammenhalt in der Gemeinde stärken und die Verbundenheit mit der Pfarrei und dem Pfarrer darstellen kann, ist er/ sie geborenes Mitglied im Gemeinderat und im Pfarrgemeinderat sowie Mitglied im Pastoralteam und in der Pastoralkonferenz. Er/Sie ist im Hinblick auf die alltäglichen Aufgaben und die Verwaltung der Gemeinde Ansprechpartner/in für alle Gläubigen, den Pfarrer und den/die Verwaltungsleiter/in in der Pfarrei“ ...

 

Eigentlich sind hierin alle Tätigkeiten und Verantwortungsbereiche aufgeführt. Der Brückenfunktion zwischen Pfarrei, Pfarrer und Gemeinde wird eine besondere Rolle zugesprochen. Es ist wesentliche Aufgabe des „m. K.“, die Belange und Bedürfnisse der Gemeinde in der Pfarrei vorzutragen, anzumahnen und wach zu halten und die Erfordernisse und Anliegen der Pfarrei in der Gemeinde zu kommunizieren und transparent zu machen. Dass das alles in der Praxis tatsächlich funktioniert, beweisen die Realitäten der Gemeinden, in denen ein/eine Gemeindereferent/ in oder ein Diakon m. K. seinen / ihren Dienst versehen.

Manchmal werde ich gefragt, ob ich mich ausgenutzt fühle, ob ich eigentlich noch Diakon bin, ob durch meine Funktion nicht ein Scheinbild von Gemeindeleitung vorgespielt wird, ob ich mich als Lückenbüßer fühle, ob ich etwas Besseres wäre, ...? Diese „ob“ Fragen sind nicht selten und werden meistens von denen ausgesprochen, die meinen Dienst nicht kennen.

1993 wurde ich beauftragt, in der damaligen Pfarrei Heilig Geist in Gelsenkirchen Schaffrath den diakonalen Dienst zu übernehmen und - damit verbunden - in das dortige Pfarrhaus einzuziehen. Der zuständige Pfarrer wohnte in der Nachbarpfarrei, die er ebenfalls betreute. Das war zu der damaligen Zeit noch nicht alltäglich. Kontaktperson, Ansprechpartner, Bezugsperson... waren die Versuche der kommenden Jahre, den/die Gemeindereferenten/in und Diakon in dieser besonderen Situation zu benennen. Wir hatten kein Kürzel hinter unserer Amtsbezeichnung und es gab auch keine Ordnung, die dieses besondere Zusammenspiel in mehreren Pfarreien regelte. Eines hatten wir aber den anderen in der Regel voraus: Wir lernten sehr schnell, in einem Team von Hauptamtlichen als Pfarrer (Priester), Gemeindereferent/in, Pastoralreferent/ in und Diakon unsere Rolle zu finden und das Spezifikum unseres Dienstes wahrzunehmen. Und so wurde aus dem Pastorat / Pfarrhaus sehr schnell ein Diakonat.

 

Seit 2009 bin ich nun Diakon mit Koordinierungsaufgaben in der Gemeinde St. Josef Scholven in der Propsteipfarrei St. Urbanus. Ich arbeite, lebe und wohne im Diakonat, dem ehemaligen Pfarrhaus und tue alles das, was ein m. K. zu tun hat. Darüber hinaus bin ich in unserer Pfarrei mitverantwortlich für die Seelsorge in den 12 KiTas und trage die Mitverantwortung für den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.

Ich bin Diakon.

 

Das Sozialgefüge der Gemeinde St. Josef- Scholven ist sehr speziell. Es vergeht kaum ein Tag ohne Sachbeschädigungen, Schmierereien oder Einbruchsversuchen / Diebstählen in, an und rund um unser Gemeindezentrum und den anliegenden Gebäuden und Einrichtungen. Der große Anteil von sozialer- und echter Armut in unserem Stadtteil prägt das Aussehen und den Ruf Scholvens. Die „besseren“ Leute wohnen in Bülse, die landwirtschaftlich Verwurzelten in Oberscholven. Eine der größten Chemieansiedlungen sorgt für die sehr individuelle Luft, das große Kraftwerk für eine omnipräsente Lärmkulisse und die größte künstliche Erhebung Nordrhein Westfalens, die Halde Scholven, für ein markantes Bild.

 

Ich habe hier gelernt umzudenken. In einer der beiden Grundschulen z.B. spielen Markenklamotten keine Rolle, weil fast alle Angebotswaren von Aldi oder KiK tragen und sich freuen, wenn sie einen eigenen Schultornister haben.

 

Unser Familienzentrum ist der Gelsenkirchener Tafel angeschlossen, damit die Kindergartenkinder auch zu Hause mit Obst und Gemüse versorgt werden.

Es gibt hier viele kleine, preiswerte Wohnungen, was dazu führt, dass hier auch viele alleinstehende Männer ohne Einkommen zu Hause sind und ihre eigenen Alkohol- und Drogenprobleme in den Stadtteil einbringen.

 

Jugendliche ohne Zukunftsaussichten, oft schon früh als Kriminelle in Erscheinung getreten, versammeln sich zu „öffentlichen Trinkgelagen“. Mittendrin wohnen viele Familien mit Migrationshintergrund, wenige aus der Türkei, viele aus Kasachstan, die meisten aus Polen.

Einige Erfahrungen und Erlebnisse machen deutlich, was es heißt, in Scholven zu arbeiten: In der Buerschen Innenstadt haben sich Kaufleute zu einer Aktion „Weihnachtsbaum“ zusammengetan. Kunden wollten ärmeren Kindern einen Weihnachtswunsch erfüllen. Es gab erfreulich viele Spender, in Buer aber keinen bekannten geeigneten Empfänger.

 

Nach einem Anruf hier in Scholven hatten wir innerhalb von 10 Minuten eine Liste mit mehr als 60 Kindern zusammengestellt, die sich über (manchmal das einzige!) Geschenk freuen konnten.

 

 

 

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Schicksalsschlag wieder eine Familie trifft und aus der Lebensbahn zu werfen droht. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Scholven „bevorzugtes Einschlagsgebiet“ ist.

 

 

 

  • Da ist z. B. das junge Mädchen, das mit 15 Mutter wurde und nun gemeinsam mit seiner 31-jährigen eigenen Mutter das Kind groß zieht.
  • Da ist die junge alleinerziehende Frau, die ihr vierjähriges Kind im Krankenhaus besucht. Ihre Mutter versorgt während dieser Zeit ihren noch nicht einjährigen Sohn. Als sie wieder nach Hause kommt wird sie mit den Worten begrüßt: „Dein Sohn ist tot, er wurde abgeholt, die Polizei war auch da.“ Plötzlicher Kindstod wurde festgestellt. Die Mutter kann erst nach der Obduktion ihr totes Kind im Arm halten.
  • Da ist die junge Patchworkfamilie mit vier Kindern, deren fünftes Kind (das erste gemeinsame) zwei Stunden nach der Entbindung stirbt. Das vorher gekaufte Kinderbett steht noch ein Jahr in der Wohnung.
  • Da ist der Mann, der erst arbeitslos wird und dann schwer am Herzen erkrankt. Sein zweites Kind kommt mit einer leichten geistigen Behinderung zur Welt. Die Zwillinge kommen dann acht Jahre später zu früh zur Welt und müssen mehrere Wochen in einer Spezialklinik behandelt werden. Eins der beiden Mädchen ist schwerstbehindert. Manchmal lächelt die Mutter.
  • Da gibt es ein junges Mädchen, das mit einem Abgangszeugnis (also ohne Abschluss) von der hiesigen Hauptschule entlassen wird und nicht begreifen kann, dass niemand es anstellen will.
  • Da sind die 28 Firmandinnen und Firmanden, von denen mehr als die Hälfte keinen Zugang zu einem Computer und nur neun ein Handy haben. Wir haben durch sie gelernt, wieder Briefe zu schreiben.
  • Da sind die vielen, vielen Witwen die mit Gehhilfen oder Rollatoren über den Marktplatz (der nur noch so heißt) zur Kirche schleichen. Die schmale Rente liegt mit einigen Euros über dem Minimum, so dass sie von Staat und Stadt keine finanzielle Hilfe erhalten. Sie kratzen immer einige Cents für eine Kerze oder die Kollekte zusammen.
  • Da sind die Männer und Frauen, die an unserer Türe regelmäßig nach Essen fragen und sich riesig über eine Dose Suppe oder ein Brot oder etwas Obst freuen.
  • Da ist der Mann, der kaum deutsch spricht und dem ich helfe, das Formular auszufüllen.
  • Da sind die fröhlichen Kinderaugen die auch ohne Worte danke sagen für den schönen Tag in den Ferien, den die Kinder im Rahmen der Ferienaktion der Gemeinde miterleben durften.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich bin hier zuerst Diakon. Das bin ich gerne und mit Leidenschaft und ich kann mich über mangelnde diakonale Betätigungsfelder nicht beklagen.

 

 

Es würde diese Seite sprengen, würde ich alles im Einzelnen aufführen, was hier so läuft, was ich hier gerne mache und was ich einfach machen muss, weil es zu meiner Beauftragung gehört. Ich lade jede und jeden herzlich ein, ein paar Stunden oder einen Tag mit mir in der Gemeinde St. Josef im schönen Gelsenkirchen-Scholven (übrigens sind wir die nördlichste Gemeinde des Bistums) zu erleben.